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Mai 2002

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Der eComStation eine Chance
oder
Durch die OS/2-Community muß jetzt ein Ruck gehen

Von Eric Baerwaldt © Mai 2002

Neulich hatte ich wieder so ein interessantes Kundengespräch zu führen - ein Gespräch mit einem Neukunden, der durch Mundpropaganda an mich verwiesen worden war. Der Geschäftsführer des kleinen Unternehmens suchte jemanden vor Ort, der seine EDV-Anlagen betreuen und warten kann. Nach einem einführenden Gespräch habe ich mir also die Rechner angesehen: Durchgängig waren es ältere No-Name-Geräte mit zum Teil exotischen Komponenten, und auf allen liefen zwei ältere Versionen der 90%-Betriebssysteme. Die Chefsekretärin beklagte sich - wie meist bei solchen Erstkontakten - über Abstürze, verschwundene Daten und all die mehr oder weniger unerfreulichen Begleiterscheinungen, die der Einsatz dieser Systeme im professionellen Umfeld mit sich bringt. Nach einer grob überschlägigen Bedarfsabschätzung und Kostenrechnung war schnell klar, daß die gesamte EDV umgekrempelt wird: Neue Rechner braucht der Betrieb, und vor allem ordentliche Software. »Was halten Sie denn davon, wenn wir zur eComStation migrieren?«, fragte ich den Geschäftsführer. »Zu was bitte?«, war die erwartete Reaktion. Also mußte ich wieder einmal argumentieren. OS/2 kannte er, von Kartellprozessen gegen andere hatte er ebenfalls schon einmal gehört, aber die eCS???!!! Nun gut, die Migration ist inzwischen beschlossene Sache.

Tapetenwechsel. Wenige Tage später weilte ich bei einem mittelständischen Firmenkunden in dessen Geschäftsräumen. Es ging um das Thema »e-business«. U.a. war ein Bankberater anwesend, dessen Arbeitgeber immerhin rund 50 Clients unter OS/2 Warp v.4.5 im Einsatz hat. »Ach, Sie arbeiten immer noch mit diesem Dinosaurier?«, wurde ich begrüßt, als ich kurz über die EDV-Infrastruktur referiert hatte. »Ja, aber dieser Dinosaurier hat ein jahrelanges Überlebenstraining absolviert und hat daher kaum Probleme, mit denen sich andere zuhauf herumschlagen müssen.« »Ja, aber dem System sieht man doch das Alter an.«, wurde mir der Ball zurückgespielt. »Deshalb migrieren wir in Kürze zur eComStation, damit die Mitarbeiter auch was fürs Auge haben.« »Zu was migrieren Sie bitte? Was ist denn das für ein System?« Wieder mußte ich argumentieren. Dann stellte sich auch noch heraus, daß der Berater der Bank noch nie etwas von moneyplex gehört hatte. »Das ist ja ein schönes Programm. Ich wußte gar nicht, daß es so etwas auch für OS/2 gibt!«

Erneuter Tapetenwechsel. Auf eine Werbeanzeige in der Zeitung hin meldet sich bei mir im Geschäft ein Interessent. »Läuft denn der Controller unter allen gängigen Systemen?«, wollte er wissen. »Na klar, OS/2, die eComStation, Novell NetWare, Linux, und auch unter Windows, aber das habe ich nicht getestet, weil ich diese Systeme nicht bei mir im Einsatz habe.« »Das hört sich ja nach einem Linux-Freak an!« »Beileibe nicht, ich bin schließlich aus dem Kindergartenalter heraus.« »Was haben Sie denn bei sich auf dem Rechner laufen?« »Na ja, auf dem Server läuft derzeit Novell IntranetWare und OS/2 Warp, auf dem Client zwei verschiedene Versionen von OS/2 Warp und die eComStation.« »Bitte was, was war das Letzte?« Wieder also einmal mußte ich erklären...

In Anlehnung an einen Slogan der deutschen Friedensbewegung in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts fiel mir dazu nur ein: »Stell Dir vor, wir haben das beste System, und keiner kennt es.«

Ich glaube, wir haben inzwischen ein Problem, das täglich größer wird, ohne daß es bisher richtig zur Kenntnis genommen worden ist: Bob St. John bemüht sich, die eComStation als Betriebssystem für KMUs (Kleine und Mittlere Unternehmen) zu positionieren. IBM verkündet dagegen lauthals in der Öffentlichkeit, die Tage von OS/2 seien gezählt. Der durchschnittliche EDV-Verantwortliche in Unternehmen hört die Verlautbarungen des IBM-Konzerns und macht sich seine Gedanken zur »Zeit danach«. Schon hört man von bislang zufriedenen OS/2-Nutzern, daß sie weg von OS/2 hin zu diversen befremdlichen, jetzt mit dem Kürzel »XP« versehenen Systemen migrieren wollen, weil OS/2 nach ihrer Auffassung keine Zukunft hat. Die Bemühungen Bob St. Johns und seines engagierten Teams werden also durch die Abkündigung seitens IBM mehr als konterkariert.

Vergegenwärtigen wir uns, daß Serenity Systems International kein Weltkonzern ist, der an jedem noch so abgelegenen Flecken eine Vertriebsniederlassung hat und über eine schlagkräftige Marketingabteilung verfügt. Vergegenwärtigen wir uns weiter, daß selbst in Stammärkten von OS/2 wie Deutschland heute nur noch sehr wenige freie EDV-Berater und EDV-Systemhäuser überhaupt in der Lage sind, OS/2-Anlagen zu supporten. Es fehlt also auch an Support für KMUs durch etablierte freie EDV-Firmen. Wie es unter solchen Umständen gelingen soll, die eCS erfolgreich im Markt zu etablieren bei KMUs und außerhalb der hartleibigen OS/2-Community, ist mir mehr als schleierhaft. Wir können ja bei Anfragen noch nicht einmal mit Prospektmaterial dienen, es sei denn, man kramt die alten Warp 4-Flyer aus dem Jahr 1996 heraus...

Zudem ist zu bedenken, daß zwar das Internet als Vertriebsmedium den einen oder anderen Privatkunden auf die eCS aufmerksam machen kann, im professionellen Umfeld jedoch, also dem von Bob angepeilten Markt, werden EDV-Projekte, die sich oft auf sechs- bis siebenstellige Summen bei KMUs belaufen, nicht mit Hilfe des Internets abgewickelt. Dort spielen persönliche Kontakte, eine solide Vertrauensbasis und vor allem Wissen und Möglichkeiten des Beraters eine weitaus wichtigere Rolle. Und wer dort die eCS nicht kennt, wird sie auch nicht ins Gespräch bringen. Der Kreis schließt sich.

Einige Bitten an Bob St. John: Wir Händler brauchen Material für Promotions-Aktionen. Wir brauchen auch ein »Certified eCS-Engineer«-Programm, mit dem geworben werden und das als Ausweis der fachlichen Kompetenz gegenüber potentiellen Kunden eine wichtige Rolle einnehmen kann. Wir müssen vor Ort in der Lage sein, bei auftauchenden Problemen sofort und ohne große Anfragen direkt bei Serenity Systems oder in einschlägigen Usergroups Support zu leisten. Wir brauchen bei Serenity Systems direkt einen Vertriebsprofi als Ansprechpartner, der bei größeren Projekten im Bedarfsfall argumentative Unterstützung leisten kann und der sofort ohne Umwege zur Verfügung steht.

Aber auch bei den einschlägigen Newsdiensten und Gruppierungen, die die eCS unterstützen, würde ich mir einige Veränderungen wünschen. Mark Dodel und Christian Hennecke als Herausgeber des VOICE Newsletters haben sich bereits mehrfach darüber beklagt, daß die Zahl der aktiven Mitglieder bei VOICE schwindet und das Interesse abnimmt. Es ist aus der Sicht eines einfachen OS/2- und eCS-Nutzers wie mir eine großartige Sache, solch eine Anwendervereinigung zu haben, bei der zudem noch so viel Arbeit und Zeit aufgewendet wird, um Fachwissen quasi »ehrenhalber« weiterzugeben. Ich könnte mir jedoch vorstellen, daß bei einer stärkeren kommerziellen Ausrichtung der VOICE-Organisation auch unter dem Strich mehr hängenbleibt und darüberhinaus Mittel zur Verfügung stehen, die in dringend notwendige OS/2-Projekte investiert werden könnten. Was spricht dagegen, beispielsweise zu bestimmten Themenbereichen, für die sich ausreichend viele Nutzer interessieren, Workshops abzuhalten? Unter »Workshop« verstehe ich hierbei nicht Artikelserien im Newsletter, sondern Präsenzveranstaltungen, z.B. in Form von ein- oder auch mehrtägigen Seminaren. Ich denke, genügend fachkundige Referenten (oder Seminarleiter) gibt es in unseren Kreisen allemal, und die meisten wären wohl auch idealistisch genug, einen Workshop ohne Honorarforderung zu veranstalten (ich zumindest würde, wenn ich denn etwas dazu beitragen könnte, dies unentgeltlich tun). Wäre es nicht auch möglich, eine Art »Helpdesk« bei VOICE zu etablieren, bei dem für bestimmte Bereiche fachkundige Mitglieder professionell Hilfestellung leisten könnten? Mir würde es in meiner Funktion als Händler genügen, wenn ein kompetenter Ansprechpartner beispielsweise zum Thema »Lotus SmartSuite« vorhanden wäre, der auf per e-mail geschickte Anfragen antwortet. Wenn ich im Rahmen eines EDV-Projektes bei einem Firmenkunden als Berater auf solch eine Möglichkeit hinweisen könnte, gelänge es wesentlich leichter, Neukunden von den Vorzügen der eCS und entsprechender Applikationssoftware zu überzeugen. Und man sollte bei diesem Vorschlag auch nicht vergessen, daß Firmen durchaus bereit und gewohnt sind, für solch einen Extraservice angemessen zu bezahlen. Vergessen werden sollte zudem nicht, daß es damit möglich würde, die VOICE-Organisation wesentlich bekannter zu machen außerhalb der traditionellen OS/2-Community. Neue Mitglieder wären mit Sicherheit die Folge.

Es muß also ein Ruck durch die OS/2-Community gehen. Ich möchte keineswegs den Eindruck erwecken, daß ich die bisherige Arbeit von VOICE und den anderen Non-Profit-Organisationen in unserem Bereich geringschätze. Ganz im Gegenteil: Ich bin sehr froh, daß die Euphorie um dieses hervorragende System so lange angehalten hat in unseren Kreisen und sich immer noch so viele vor allem junge Menschen aus idealistischen Erwägungen heraus dafür begeistern. Ich bin zudem der Auffassung, daß wir mit der eCS endlich wieder eine Perspektive haben, auch wenn leider ein gewisses »Störfeuer« durch IBM nicht zu übersehen ist. Serenity Systems allein wird es unter den gegebenen Umständen jedoch wohl kaum schaffen, die eCS dauerhaft als Nachfolger von OS/2 am Markt zu etablieren. Wir als OS/2-Community müssen hierbei weitere Aufgaben schultern, und dies wird aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen nur erfolgreich verlaufen, wenn wir ausgetretene Pfade verlassen und flexibel agieren. Nur durch das Anpacken aller wird die eCS breiteren Schichten zugänglich gemacht werden.


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