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Januar 2002
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Von Tom Nadeau © Januar 2002, Übersetzung: Philhard Ackermann |
Wo soll es denn heute hingehen? Komisch, daß Sie das fragen. Dieselbe Hard- und Software, die ich im Jahre 1997 zum Einsatz brachte, als ich meinen momentanen PC aus Altteilen zusammengebaut habe, läuft bei mir, mit einigen kleinen Anpassungen, noch genau so gut wie damals. Die einzigen erwähnenswerten Erweiterungen waren ein CD-Brenner, Netscape 4.61 und Lotus Smartsuite 1.6.
Es ist schon witzig: vor ein paar Jahren bin ich aus dem PC-Geschäft ausgestiegen, aber die Aufrüstungstretmühle habe ich bis heute nicht vermißt. Sicher, auf meinem "Lern"-PC ist eComStation installiert, aber auf meinem PC für den Internetzugang nudelt immer noch Warp 4 mit FP12. Ich habe nie eine Notwendigkeit gesehen, hier etwas zu ändern, und die Hardware ist im Wesentlichen gleich geblieben. Witzig ist auch, wieviele Leute, die ich in den letzten 4 Jahren kennengelernt habe, ihre Hardware wegen Softwareabstürzen und durchgebrannten Mainboards mehrmals erneuern mußten. Ich bleibe einfach bei meiner OS/2-Maschine, und die hat diese vornehme Eigenschaft des Energizer-Hasen: sie läuft und läuft und läuft...
Schön, ich werde diesen PC also irgendwann ersetzen müssen Aber dank IBMs mit gesundem Menschverstand formulierter Softwarelizenz werde ich dafür keine neue Warp 4-Kopie kaufen müssen. Ich kann die alte Festplatte einfach formatieren oder in den Mülleimer werfen, und meine Warp-CD auf einem neuen PC installieren. Und bis HP und Compaq einen Weg finden, den Mainboard-Markt mit einem geplanten Marktanteil von 70% zu beherrschen, sollte ich dabei keine Probleme bekommen. Ich werde einfach zum nächstgelegenen Computergeschäft gehen und ein gewöhnliches Mainboard samt AMD-CPU erwerben. Ordentlich Leistung fürs Geld; mit OS/2 muß ich nicht gegen ein aufgeblähtes Windoze ankämpfen, also brauche ich auch keinen Stromfresser von Intel.
Das war schon immer das große Problem mit guten Produkten. Immer noch fahren eine Menge zehn- bis fünfzehn Jahre alte Toyotas auf den Straßen herum. Es gibt viele gute Möbelstücke, die vor zwanzig oder dreißig Jahren hergestellt wurden, und noch heute eine Zierde für die Wohnungen sind, in denen sie stehen. Und vor allem gibt es 100 Millionen Zeilen COBOL-Code, die noch heute weltweit in den Firmen ihre Arbeit verrichten - Tag für Tag, Jahr für Jahr.
Das Problem mit unserer kommerziellen Gesellschaft ist nicht etwa was die Malthusianer befürchteten. Deren ökonomische Theorie behauptete, daß die Menschheit nicht in der Lage sein würde, genügend Nahrung und Kleidung herzustellen, um uns alle zu ernähren und anzukleiden. Irgendwann würden wir alle verloren sein, wenn die Gesellschaft aufgrund des Mangels von Produktionskapazitäten kollabieren würde. Stattdessen hat sich das Gegenteil bewahrheitet: während einer langen, weitestgehend friedlichen Periode hat sich eine krasse Überproduktion von Gütern entwickelt, und dabei auch noch die Technologie, diese Güter sehr dauerhaft zu machen... vorausgesetzt natürlich, daß die Hersteller sich auch dazu entscheiden!!
Und so wird das ökonomische Paradoxon, welches die heutigen profitorientierten Ökonomien bedroht, ebenso zu einer Bedrohung der wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit des Betriebssystems OS/2. Wenn jedermann im Überfluß hat, was er braucht, warum sollte er dann noch einkaufen gehen? IBMs Lösung ist die Einstellung des Vertriebs an Privatpersonen, da diese keinen Grund haben, mehr als einige wenige Exemplare irgendeiner Software zu erwerben. Microsofts Lösung ist deutlich weniger fein: man erklärt ein Produkt einfach für überholt, gibt damit den Anstoß zu Veränderungen um der Veränderung willen und zwingt dabei die Leute, sich das 'Neue' anzuschaffen, um die Funktionalität des 'Alten' nicht zu verlieren. Dies ist die Seite des Mr. Hyde einer herstellerorientierten Wirtschaft: kontrolliere die Produktpreise, indem du deren Todesanzeigen selbst verfaßt. Erzeuge künstliche Verknappung, um den Preis von Produkten in die Höhe zu treiben, die ansonsten zum Nulltarif verfügbar würden. Genau dies ist der Hokus-Pokus, der uns durch die Revolution auf dem Open-Source-Sektor vor Augen geführt wurde: Software kostet nur wegen künstlicher Verknappung unser Geld und nicht etwa, weil man davon nicht genug produzieren könnte.
Also ist OS/2 ein knappes Gut, weil IBM sich entschieden hat, es nicht zu verkaufen. Jede neue Windows-Version wird irgendwann ein knappes Gut, weil Microsoft sich entscheidet, es nicht zu verkaufen (sondern stattdessen etwas 'Neues' anzubieten). In jedem Fall wird die Verfügbarkeit eines Produktes durch die Anbieterseite bestimmt, und nicht etwa durch die Nachfrage.
Der Knackpunkt ist folgender: egal, ob Sie sich nun für OS/2 oder für Windows entscheiden, die Verfügbarkeit dessen, was Sie nachfragen, wird von der Anbieterseite bestimmt. Und entscheiden Sie sich für Linux, dann besteht das Risiko darin, daß dessen Hersteller gar nicht in der Lage ist, die Preise durch absichtliche Verknappung künstlich hochzuhalten, wodurch seine wirtschaftliche Überlebensfähigkeit in Frage gestellt werden muß. Ich habe kein Interesse daran, den Hersteller zu wechseln, oder gar selbst zum Hersteller zu werden. Welch ein Paradoxon!
Da ich von keiner der beiden oben geschilderten Alternativen einen signifikanten Vorteil zu erwarten habe, kann ich genausogut meine Investitionen schützen und bei OS/2 bleiben. Dieser Schuh paßt mir - ich werde ihn einfach weiter tragen.
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