VOICE Homepage: http://de.os2voice.org |
Januar 2002
[Inhaltsverzeichnis]
|
Von Michal Necasek © Januar 2002, Übersetzung: Manfred Agne |
In dem Artikel über OS/2 1.0 hatte ich erwähnt, daß ich zwar die original-IBM Floppies von OS/2 1.0 habe, aber keine Hardware, auf der sie tatsächlich laufen. Das ist nicht mehr länger wahr, dank der Großzügigkeit von Lewis G Rosenthal. Dank ihm bin ich jetzt stolzer Eigentümer einer 286-Maschine, auf der IBM OS/2 1.0 läuft! Das sollte auch ein bißchen den Mythos zerstreuen, nach dem IBM OS/2 1.x IBM Hardware benötigt, denn diese Maschine hat überhaupt keine IBM-Komponenten und ist noch nicht einmal ein typischer AT-Computer. Das Hauptsystem ist ein Hyundai Super-286C von 1988, mit einer 10 MHz Intel 80286 CPU, 1 MB onboard RAM und Award BIOS. Etwas unüblich für die Zeit hat es auch onboard LPT- und COM-Ports und Floppy-Controller. Da 1 MB Speicher nicht genug für OS/2 ist, hat die Maschine eine Erweiterungsplatine installiert, eine DFI Megalith mit 8 MB RAM. Als Massenspeicher hat der Rechner eine riesige (jedenfalls für einen 286er) Microscience 160 MB ESDI Platte an einem WD 1007V-SE2 Controller. Die Grafikkarte ist nur eine Hercules Monochrom (mit einem passenden Tandy VM-3 grün leuchtenden Bildschirm Jahrgang 1985, und unglaublich langsamem Phosphor), aber das ist für OS/2 1.0 durchaus ausreichend.
Die Installation von IBM OS/2 1.0 auf diesem Baby war ziemlich einfach (zumindest nachdem ich ein paar Hürden genommen hatten, die ausschließlich mein Fehler waren) und OS/2 läuft auf diesem System gut. Die Performance ist natürlich nicht gerade überragend - besonders die Festplatte ist nicht gerade ein Wunder an Geschwindigkeit - aber es zeigt, daß präemptives Multitasking mit Memory Protection auf einer AT-artigen Maschine durchaus machbar war. Und OS/2 bootet immer noch in weniger als 20 Sekunden auf dieser uralten Maschine, das ist weniger, als ich von eCS auf meiner PIII-Maschine erwarten kann.
Ich kann auch bestätigen, daß der Spitzname "Penalty Box" für die DOS-Session unter OS/2 1.x völlig verdient war, denn er war mit Abstand die schnellste Möglichkeit, das System zum Absturz zu bringen - aber wegen des Mangels an nativen OS/2-Anwendungen war sie leider ein notwendiges Übel. Zur Verteidigung von OS/2 und den Programmierern muß ich sagen, daß die Instabilität nicht von Bugs (oder zumindest nicht nur von Bugs) verursacht wurde, sie war einfach eine Konsequenz der 286er Architektur.
Aber jetzt spulen wir mal von 1987-1988 in die zweite
Hälfte von 1994 vor.
OS/2 Warp war auch der beste und ernsteste Versuch von IBM, den Desktop zu erobern, oder zumindest einen signifikanten Markanteil zu gewinnen. Ich habe gehört, daß zu einem Zeitpunkt OS/2 Warp bis zu 10% des Desktop-Marktes erobert hatte, aber es ist sehr schwer, wenn nicht gar unmöglich, zuverlässige Zahlen zu bekommen - wenn sie überhaupt jemand jemals hatte, was ich bezweifle. Dieser Versuch, einen größeren Markanteil zu bekommen war einigermaßen erfolgreich, und eine Menge Leute fühlten sich zu Warp hingezogen. Ich war auch unter ihnen, und OS/2 Warp war die erste Version von OS/2, die ich auf meinem Rechner 1995 installierte (damals ein Pentium 90, ursprünglich mit 8MB und dann schnell auf 16, später 32MB RAM aufgerüstet), und ich habe gute Erinnerungen an diese Zeit.
Wie bei OS/2 2.1 gab es zwei Versionen von OS/2 Warp: Das einfache Warp ohne Win-OS/2, als "Red Spine" (roter Rücken) bezeichnet wegen des Aussehens der Schachtel (die mit "Erweitert Ihr vorhandenes DOS und Windows" beschriftet war). Diese Version war am weitesten verbreitet, da die meisten Leute schon Windows 3.1 hatten, ob sie nun wollten oder nicht. Und natürlich war "Red Spine" auch billiger. Die andere Version war Warp mit Win-OS/2, als "Blue Spine" bezeichnet (auf der Box stand "Mit integrierter Unterstützung Ihrer DOS und Windows-Anwendungen"). Beide Versionen waren auf Disketten oder CD-ROM verfügbar. Aber zu der Zeit waren die Diskettenversionen schon ziemlich selten, besonders da man von der CD-Version Disketten generieren konnte, so daß es Sinn machen konnte, die CD zu kaufen, auch wenn man nicht oder noch nicht direkt von CD installieren konnte.
Mitte 1995 bekam die Warp-Familie mit der Einführung von Warp Connect (wiederum in den Versionen "Red" und "Blue Spine") Zuwachs, wodurch sich die Auswahl auf vier Versionen erweiterte, ohne die verschiedenen Medien zu zählen.
OS/2 Warp hatte verschiedene Vorteile (beliebige Reihenfolge):
Klarer und schöner als OS/2 2.11 mit einem nagelneuen
Merkmal - der Klickstartleiste am unteren Ende des Desktops. Die Klickstartleiste war
eine nette Sache und demonstrierte die Leistungsfähigkeit der WPS
mit vollständiger Unterstützung von Drag-and-Drop.
Die Installation von OS/2 Warp auf meiner heimischen Maschine (ein PIII-600 mit 256MB RAM und einer 32MB Matrox G400) war problemlos, nachdem ich aktualisierte Bootdisketten mit den letzten IDE und Diskettentreibern erstellt hatte. Die Installation von CD dauerte noch nicht einmal lange. Nachdem das Betriebssystem einmal eingespielt war, installierte ich nur die Treiber für die Matrox-Grafikkarte, und schon konnte ich loslegen.
Später aktualisierte ich die Installation auf OS/2
Warp Connect mit Win-OS/2 ("Blue Spine").
Der "Autobahn"-Kram fand sich tatsächlich auf der zweiten CD, der BonusPak-Disk. Neben FaxWorks, VideoIn und IBM Works gab es da die IBM Internet Connection für OS/2. Sie war ausschließlich auf Benutzer mit Einwahl-Zugang ausgerichtet und enthielt ein IBM-Einwählprogramm und das "Andere Internet Servicegeber" Einwählprogramm (auch "Dial Other Internet Providers, DOIP, genannt), das damals nur SLIP und nicht das neuere und später überwiegend verwendete PPP unterstützte.
Grundlegende Internet-Client Software wurde auch mitgeliefert - für FTP, Telnet, E-Mail, News, WWW (damals nur sehr rudimentär). Außerdem die Unterstützung einiger Protokolle, die heute ausgestorben sind, wie zum Beispiel Gopher.
Die IBM Internet Connection war eine sehr reduzierte Version
von IBMs TCP/IP Kit, das seit OS/2 1.3-Tagen verfügbar gewesen war.
Diese Bündelung früherer Einzelprodukte machte die Sache ein wenig unübersichtlich, besonders für Neulinge. Für die grundlegende Netzwerkunterstützung gab es MPTS (Multi-Protocol Transport Services), das von allen anderen Produkten benötigt wurde. Der IBM LAN Requester hat sich seit OS/2 1.x-Tagen kaum verändert und unterstützt immer noch den vertrauten NET Befehl. IBM Peer war eine sehr reduzierte Version des LAN Server, aber ohne die meisten Verwaltungstools. Ich habe den NetWare Requester und LAN Distance nur sehr kurz und vor sehr langer Zeit benutzt, und werde deshalb nichts dazu sagen. Vielleicht das interessanteste am Paket war die Unterstützung für TCP/IP. Das war wiederum eine sehr reduzierte Version von IBMs TCP/IP Kit ohne NFS-Unterstützung, X Server, und ähnlich relativ esoterische Software. Es hatte aber volle Unterstützung für die TCP/IP Transportprotokolle und eine Anzahl von Client-Anwendungen: FTP, Telnet, Gopher, e-mail, News (NNTP) und WWW - ganz ähnlich wie die IBM Internet Connection im normalen OS/2 Warp.
So sah Warp Connect nach der Installation aus (IBM Peer und TCP/IP installiert):
Man kann deutlich sehen, daß es viel mehr Ordner als in normalem Warp gab, und es konnten noch mehr sein, wenn man alle Optionen installierte. Für die, die schon vergessen haben, wie WebExplorer aussah, hier ist eine Erinnerung:
Wie man sehen kann, kann selbst der alte WebExplorer 1.01
einige der wichtigsten Seiten im Web darstellen <grins>.
Es gibt einen Grund hierfür - Bildbearbeitungsprogramme benötigen hohe Auflösungen, insbesondere hohe Farbauflösung - und es ist mir nicht gelungen, die Treiber für meine Matrox G400 auf OS/2 2.11 oder früheren Versionen zum Laufen zu bekommen, und keines dieser Programme sieht mit 16 Farben besonders gut aus. Aber auf OS/2 Warp laufen die Matrox-Treiber gut.
Die erste Anwendung, die ich mir angesehen habe, ist die älteste und vielleicht bekannteste: ColorWorks von SPG, von seinen Autoren stolz als "The Artist's Ultimate Power Program" (Des Künstlers ultimatives Power-Programm) bezeichnet. Die erste Version von ColorWorks wurde 1995 veröffentlicht, und später kamen dann Versionen 1+ und 2. Es war nicht gerade billig (die Schachtel hat ein Preisschild mit $329.99), aber vermutliche nicht teurer als andere, ähnliche Programme.
Zum größten Teil war ColorWorks ganz ähnlich wie andere Bildbearbeitungsprogramme, aber es hatte zumindest zwei unübliche und vermutlich einmalige Merkmale: DIMIC und SMP Smart Threading. DIMIC stand für Dynamic In-Memory Image Compression und beschrieb eine Technik, die ColorWorks verwendete, um die Bilder komprimiert im Speicher abzulegen, auf Kosten der Verarbeitungsgeschwindigkeit. Das erlaubt ColorWorks, viel größere Bilder zu bearbeiten, als es sonst möglich gewesen wäre. SMP Smart Threading war nichts anderes als die Unterstützung symmetrischen Multi-Processings. ColorWorks konnte seine Aufgaben in mehrere Threads aufspalten, die parallel abgearbeitet wurden. Auf Maschinen mit nur einem Prozessor hatte das zwar keinen merklichen Einfluß, aber auf SMP-Maschinen (die zu der Zeit unter OS/2 2.11 SMP liefen) konnte das die Arbeit signifikant beschleunigen:
Während SPG einen lineare Performance-Skalierung bis hin zu 64 CPUs versprach, was technisch unmöglich ist (wegen eines Flaschenhalses bei der Speicher-Performance), ist es wahrscheinlich, daß die Leistungssteigerung auf 2-4 Prozessor SMP-Maschinen ziemlich beeindruckend war.
Jedenfalls war ColorWorks ein leistungsfähiges Programm, wie von einem der mitgelieferten Beispielbilder belegt wird:
Es hatte alles, was man von einem solchen Programm erwarten kann - Zeichenfunktionen, Farbmanipulationen, Filter, die ganze Werkstatt...
Das andere Grafikprogramm war TrueSpectra Photo>Graphics. Es ist schwer zu sagen, welcher Typ von Programm das war - es ist eine interessante Kreuzung zwischen einem Bitmap- und einem Vektor-orientierten Zeichenprogramm. Photo>Graphics arbeitet auf eine einzigartige Weise: Seine Ausgabe ist eine Bitmap, aber sie wird nicht als Bitmap gespeichert, sondern als eine Sammlung von Objekten (die Bitmaps sein können), Texten, und Effekten - eher einer Vektor-Anwendung ähnelnd. Das hat zwei wichtige Vorteile:
Mit Photo>Graphics war es einfach, den Text oder die Bilder
zu ändern, oder das Ergebnis in einer beliebigen Weise zu verändern.
Das Ergebnis wurde erst als einzelne Bitmap berechnet, wenn man es druckte
oder auf Festplatte speicherte.
Aber es gab ein anderes internes IBM-Projekt, das großen Einfluß auf die Zukunft von OS/2 hatte: OS/2 für PowerPC. Es war ein etwas nebulöses Projekt, das während seiner ganzen Laufzeit ständig seine Richtung wechselte. Es ist schwer zu sagen, was am Anfang dieses Projektes stand, wenn es überhaupt einen klar definierbaren Anfang hatte. Irgendwann in den frühen 1990er Jahren beschloß IBM, daß es wundervoll wäre, dieses coole Workplace OS zu haben. Es sollte ein Microkernel-basiertes, Objekt-orientiertes Über-OS sein, das auf einer RISC-Plattform laufen würde (eine sehr ominöse Sammlung von Schlagworten). Es sollte verschiedene Betriebssysteme gleichzeitig ausführen können. Niemand scheint sich mehr einig zu sein, welche das waren, aber es ist sicher, daß sie OS/2, Windows NT, MacOS und Solaris unfaßten. Warum irgendwer alle diese Betriebssysteme auf einer einzigen Maschine gleichzeitig laufen lassen sollte, hat IBM niemals richtig erklärt, und wahrscheinlich hat man darüber noch nicht einmal richtig nachgedacht. Offensichtlich war "weil wir es können" keine gute Antwort.
Jedenfalls änderte IBM ständig die Zielrichtung, und das Projekt endete dann als OS/2 für PowerPC, in der Schlußphase offiziell als OS/2 Warp Connect, PowerPC Edition, bezeichnet. IBM bejubelte dieses Projekt zwischen 1993 und 1995 ziemlich heftig. Es wurden ziemlich viele Artikel darüber geschrieben, es gab sogar Beta-Versionen des PowerPC SDK auf den DevCon CDs (ja, ich habe eine). IBM verwendete einen Crosscompiler von MetaWare um Programme auf Intel OS/2 zu kompilieren, und sie dann auf PowerPC-Maschinen zu transferieren. Es gab sogar Workshops zur Portieren, und Firmen wie Stardock oder Sundial Systems portierten ihre Produkte auf OS/2 für PowerPC, was angeblich nicht einmal schwer war (OS/2 2.0 wurde schließlich unter dem Blickpunkt der Portierbarkeit entwickelt).
Als das Release-Datum für OS/2 Warp Connect, PowerPC Edition näher rückte, ließ die Begeisterung nach. Und als OS/2 für PowerPC herauskommen sollte, war IBM plötzlich ganz still. Das Produkt kam heraus, und ein paar glückliche Leute besitzen die Software sogar (ich leider nicht). Aber sie war nicht einfach erhältlich, und nur Kunden mit einem besonderen Verhältnis zu IBM konnten sie kaufen. Alles, was heute von OS/2 für PowerPC übrig ist, ist ein Redbook mit dem Titel "OS/2 Warp (Power PC Edition) - A First Look", publiziert von der IBM International Technical Support Organization im Dezember 1995. Es hat die Dokument-Nummer SG24-4630-00 für die, die es interessiert, und es könnte noch verfügbar sein. Es ist definitiv ein interessanter Lesestoff.
Es gibt verschiedene Gründe für das Mißlingen des OS/2 für PowerPC Projektes. Ein paar waren außerhalb von IBM angesiedelt, andere waren ausschließlich intern:
Aus dem Debakel kann man eine wichtige Lehre ziehen: Glaube
den Experten nicht! Sie können auch nicht in die Zukunft sehen, auch
wenn sie vorgeben, das Gegenteil sei wahr. Ab den späten 1980ern bis
in die Mitte der 1990er war ihr Credo "CISC ist tot, RISC ist die Zukunft".
Nun ja, sie hatten Recht, aber es gab einen tödlichen Fehler in ihren
Schlußfolgerungen. Diese Experten sagten voraus, daß Intel
x86-kompatible CPUs als die typischsten CISC-Prozessoren "out" waren, und
von einer neuen RISC-basierten Architektur ersetzt würden, wie dem
PowerPC (oder Alpha oder MIPS oder was auch immer). Nur waren die Ingenieure
bei Intel und anderen Herstellern x86-kompatibler CPUs (AMD, Cyrix et al)
nicht ganz so dumm. Sie begannen, CPUs mit einem RISC-Kern und einem x86-kompatiblen
Frontend zu bauen. So erreichten sie, was die Experten nicht erwarteten:
RISC Performance, bei gleichzeitiger Erhaltung 100%-iger Rückwärts-Kompatibilität
mit CISC. Und so war OS/2 für PowerPC zum Scheitern verurteilt, selbst
wenn es nicht von den anderen Problemen heimgesucht worden wäre.
Ich werde vielleicht das Thema "Geschichte von OS/2" noch einmal mit einem Artikel über Beta-Versionen von OS/2 aufgreifen (von OS/2 1.0 Beta aus dem Sommer 1987, der ersten Preview des Presentation Manager aus dem März 1988 bis zur Warp II Beta aus dem Sommer 1994). Vorher würde ich aber gerne eine MS OS/2 2.0 Beta von 1989 oder 1990 in meine Finger bekommen (ja, die waren so alt). Wenn Sie also wissen, wo man so etwas herbekommt, bitte lassen Sie es mich wissen!
Alle meine Artikel über die Geschichte von OS/2,
die im VOICE Newsletter bisher veröffentlicht wurden, sind auf meiner
persönlichen Webseite verfügbar. Zum größten Teil
sind sie einfache "Nachdrucke", aber es gibt ein paar zusätzliche
Informationen, die ich erst erhielt, nachdem die Artikel veröffentlicht
wurden. Zusätzlich gibt es noch eine Seite über Server-Software
von IBM und Microsoft aus der OS/2 1.x Ära.
Ich bin unter <MichalN@prodigy.net> zu erreichen, und freue mich über alle Kommentare, Vorschläge, Verbesserungen, und neue Information.
Quellenverzeichnis:
|
[Artikelverzeichnis]
editor@os2voice.org
[Vorherige Seite] [Inhaltsverzeichnis] [Nächste Seite]
VOICE Homepage: http://de.os2voice.org