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Juni 2002
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Von Eric Baerwaldt © Juni 2002 |
Der Erfolg und die Verbreitung eines Betriebssystems sind in hohem Maße von der Akzeptanz der Endanwender abhängig, und zwar weniger der Consumer, sondern vielmehr der Anwender in kleinen und mittelständischen sowie großen Unternehmen. Was wäre OS/2 Warp heute ohne die vielen Großbanken und Versicherungen, die dieses hervorragende System nach wie vor einsetzen? Immerhin sorgen primär sie dafür, daß OS/2 allein in Deutschland in all seinen Varianten auf nahezu rund 600.000 Systemen installiert ist und damit einen größeren Marktanteil hält unter allen Nicht-«Windows«-Systemen als die Unix-Derivate zusammengenommen, einschließlich des künstlich hochgejubelten Linux.
Die Wirtschaftswelt besteht jedoch nicht nur aus Banken und Versicherungen, und in den letzten Jahren war leider auch bei vielen Softwareentwicklern, die branchenspezifische Applikationen programmieren, eine Abkehr von OS/2 festzustellen. »Das System ist tot!«, hieß es immer wieder, und selbst jene Softwarepakete, die als native OS/2-Anwendung entwickelt worden waren und fünfstellige Summen in der Anschaffung kosteten, wurden zumeist nicht weiterentwickelt. Mit der Einführung des Euro wurde diesen Systemen dann endgültig der Garaus gemacht.
In kleinen und mittleren Betrieben werden üblicherweise keine großen ERP-Systeme eingesetzt (»Enterprise Resource Planning«), sondern eine Untermenge davon, sogenannte WWS-Systeme (»Warenwirtschaftssysteme«). Während das ERP-System sämtliche für den operativen Geschäftsgang ebenso wie für den strategischen Bereich relevanten Vorfälle erfaßt, reduziert sich die Funktion des WWS-Systems darauf, möglichst nur die operative Organisation des Unternehmens effizienter zu gestalten. Das bedeutet, daß Bereiche wie beispielsweise das PPS (»Personalplanungssystem«), die nicht unmittelbar das operative Geschäft berühren, bei einem WWS-System wegfallen.
Was hat ein Warenwirtschaftssystem also prinzipiell zu leisten? Grundsätzlich soll es alle in einer Organisation anfallenden üblichen Geschäftsvorfälle erfassen und aussagekräftig abbilden können. Im engeren Sinne sind diese Vorfälle der komplette Einkauf, die gesamte Kundenbetreuung vom Abgeben eines Angebotes über das Schreiben von Auftragsbestätigung, Lieferschein und Rechnung bis hin zur Offene-Posten-Verwaltung, die das gesamte Mahnwesen umfaßt. Zudem muß ein ausgereiftes Warenwirtschaftssystem auch in der Lage sein, im Rahmen der Einkaufsabwicklung ein oder mehrere Lager zu verwalten. Und schließlich muß es eine aussagekräftige Kundenverwaltung bieten.
Unter OS/2 Warp sah es bislang - wie oben bereits geschildert - mit solchen »All Inclusive«-Softwarepaketen sehr schlecht aus. In meiner eigenen langjährigen Praxis mußte ich immer wieder, um den Einsatz der Strafbox oder Installationsorgien à la ODIN zu vermeiden, auf uralte Programme aus der DOS-Welt zurückgreifen. Die beiden Marktführer BFB mit dem Warenwirtschaftssystem »WAWI 2000« und SageKHK mit der »Classic Line« entsprachen vom Funktionsumfang her dem Anforderungsprofil an ein ausgereiftes WWS-System. Was jedoch bei all den alten DOS-Applikationen sehr negativ ins Auge stach, war die durchgängig sehr unübersichtliche, sich an keinerlei Konventionen haltende Oberfläche und die daraus resultierende teilweise extrem komplizierte Bedienung der Programme. Mitunter - wie beim abis-Warenwirtschaftssystem - war noch nicht einmal innerhalb der einzelnen Applikationsmodule eine stringente Tastaturbelegung festzustellen. Jedem dieser Programme merkt man schon als Laie an, daß hier keine Praktiker aus der Wirtschaft, sondern ambitionierte Informatiker am Werk waren, die sich zwar Mühe gegeben haben, den operativen Anforderungen gerecht zu werden, ohne dabei jedoch die Bedürfnisse der Endanwender vordergründig im Auge zu haben. Schade, wenn man auf der modernsten objektorientierten Oberfläche dann solche Steinzeit-Module einsetzen muß.
Doch es zeichnet sich ein deutlicher Lichtblick ab. Vor wenigen Wochen hat der Student und Programmierer Andreas Schösser seinen »Little Business Helper« vorgestellt - in der Version 0.53, die er selbst als unfertige Beta-Version bezeichnet. Ich habe das Programm heruntergeladen und trotz eines zunächst unguten Gefühls wegen der niedrigen Versionsnummer installiert. Was mich erwartete, hat mich sehr erfreut, wenn auch noch einiges zu tun ist, um das Programm von der funktionellen Seite her mit den »großen« WWS-Systemen gleichziehen zu lassen.
Zunächst sticht schon beim ersten Aufruf des »LBH« ins Auge, daß hier ein Praktiker für die Praxis programmiert hat: Man muß sich nicht erst mit kryptischen Tastenkombinationen vertraut machen, um überhaupt einen Kunden im System anlegen zu können, auch ist es nicht nötig, umständlich Rechnungsformulare anzulegen - beim »LBH« wurde vielmehr ein bestechend einfaches Konzept verwirklicht, daß es jedem Anfänger erlaubt, den Computer schnell effektiv zu nutzen. Die Einarbeitungszeit in die Software - in Unternehmen ein nicht zu unterschätzendes Kriterium bei der Entscheidungsfindung für oder gegen ein neues Produkt - wird so minimiert.
Weiterhin fällt bereits beim ersten Start der Software gleich die enorme Schnelligkeit auf, mit der das Programm geladen wird. Selbst die meisten DOS-Anwendungen sind nicht schneller betriebsbereit, von Software unter den 90%-Systemen ganz zu schweigen. Es läßt sich somit eine sehr gute Arbeitsgeschwindigkeit realisieren. Der »LBH« macht von OS/2-Spezifika intensiv Gebrauch, so daß das Betriebssystem seine Überlegenheit hier voll zum Nutzen des Anwenders ausspielen kann.
Und - gemäß dem Motto »Aller guten Dinge sind drei« - soll zudem die bereits jetzt sehr gute Stabilität des Programms erwähnt werden. Der »LBH« gibt sich auch hier keinerlei Blöße.
Was bietet das Programm im einzelnen?
Nach dem ersten Start präsentiert sich dem Anwender eine zunächst etwas spartanisch wirkende Oberfläche: Außer einer Menü- und einer Iconleiste bleibt der Bildschirm leer. Klickt man sodann ganz links auf das Ordner-Symbol, öffnet sich das Formularfenster.
Der Anwender kann nun auswählen, welches Formular er ausfüllen möchte - die Palette der vorhandenen Vorlagen deckt die gängigen Bereiche ab und ist zudem übersichtlich in die Rubriken »Ankauf« und »Verkauf« getrennt.
Nach Auswahl eines entsprechenden Formulares - in unserem Fall der Rechnungsvorlage - erscheint die komplette Rechnung am Monitor:
Die Rechnung kann nun, wie jedes andere Formular auch, entweder vom Anwender direkt ausgefüllt werden, oder aber es können die entsprechenden Felder durch in den Stammdaten hinterlegte Einträge gefüllt werden. In unserem Beispielfall klicken wir in das Adreßfeld des Kunden und öffnen sodann durch einen Mausklick rechts ein Kontextmenü, mit dem der Kundenstamm aufgerufen werden kann. In der entsprechenden Auswahl im sich öffnenden Fenster kann anschließend der Kunde durch Doppelklick mit der linken Maustaste selektiert und in das Adreßfeld übernommen werden. Kein umständliches Suchen also mittels Matchcode in einer Datenbank, kein aufwendiges Eingeben einer mehrstelligen Kundennummer (dessen Fehlerwahrscheinlichkeit proportional zu der Zunahme der Stellen ansteigt)!
Wird anschließend im eigentlichen Rechnungsbereich die Anzahl eines verkauften Artikels eingegeben und klickt der Anwender dann in das Bezeichnungsfeld, so kann wiederum über die rechte Maustaste aus den hinterlegten Stammdaten der entsprechende Artikel selektiert werden.
Ein Doppelklick mit der linken Maustaste überträgt den ausgewählten Artikel in das Rechnungsformular. Dabei berechnet der »LBH« automatisch den Rechnungsbetrag und fügt diesen ebenso wie den Gesamtsaldo inklusive der Mehrwertsteuer in das Formular ein. Einfacher und schneller geht es wirklich nicht mehr!
Zu beachten ist, daß Dienstleistungen sich - wie in unserem Beispiel gezeigt - ebenfalls im Artikelstamm hinterlegen lassen. Somit muß nur noch die Anzahl der geleisteten Stunden eingegeben werden - den Rest erledigt der »LBH«.
Nach exakt den gleichen Arbeitsabläufen werden auch Angebote, Lieferscheine, Bestellungen etc. geschrieben, so daß keinerlei neue Einarbeitung für die verschiedenen Formulare nötig ist. Durch die Blätterfunktion im Hauptbildschirm des »LBH« lassen sich zudem die verschiedenen geschriebenen Rechnungen, Lieferscheine etc. problemlos einsehen.
Zudem soll nicht verschwiegen werden, daß der »LBH« bereits jetzt Funktionen zum automatisierten Bestellwesen enthält ebenso wie zum automatisierten Mahnwesen. Diese stellen eine deutliche Erleichterung für den Nutzer dar, weil die offenen Posten nicht mehr manuell überprüft werden müssen, was - je nach Rechnungsaufkommen - schon eine sehr mühselige Arbeit sein kann.
Andreas Schösser hat die frühe Version seines »Little Business Helper« nach eigenen Angaben auch aus dem Grund veröffentlicht, um Verbesserungsvorschläge von Anwendern zu erhalten, die das Programm noch praxistauglicher gestalten. Vor allem einige branchenspezifische Erleichterungen möchte der Programmierer zukünftig implementieren und auch einige Beschränkungen wie die Anzahl der Formulare aufheben. Durch diese konsequente Weiterentwicklung dürfte gewährleistet sein, daß der »LBH« sich ein breiteres, branchenübergreifendes Anwendungsspektrum erschließen kann. Aufgrund des bestechenden Konzeptes und der hohen Praxistauglichkeit dürfte es mit dem »Little Business Helper« gelingen, OS/2 und die eCS auch in solchen Unternehmen »salonfähig« zu machen, die bislang aufgrund der fehlenden nativen Unterstützung durch branchenspezifische Standardsoftware das System noch nicht als Alternative zu den gängigen 90%-Lösungen gesehen haben.
Daten und Quellen:
Little Business Helper 0.54 |
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