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Stumm und isoliert

von Christian Hennecke, © Mai 2007

Christian HenneckeChristian Hennecke ist Chefredakteur des VOICE Newsletter. Von Hause aus eigentlich Geograph betreibt er ein Unternehmen für IT-Consulting und Service.

Seit einiger Zeit ist in Unterhaltungen mit OS/2- und eComStation-Anwendern ein Umschwung zu bemerken. Ein Umschwung zum schlechten hin, eine Ausbreitung von Resignation und Indigniertheit. Dies betrifft sogar Anwender, die man als besonders »eingefleischt« bezeichnen würde.

Dieser Entwicklung liegen zwei Umstände zugrunde: Ungeklärte Fragen werden zunehmend drängender und nehmen in der Zahl zu.

Java 1.4.2_09 ist nach wie vor die neueste für eComStation verfügbare Java-Version, und dabei handelt es sich um eine Version, die still und heimlich auf dem Innotek-Server aufgetaucht ist. Gleichzeitig erfordert eine steigende Zahl von Anwendungen neuere Java-Versionen, wodurch Java als Mittel gegen den Mangel an nativer Software effektiv ausfällt. Darüber hinaus weisen die verfügbaren Versionen Sicherheitslücken auf, für die es keine Abhilfe gibt. Dies wird bei der Mehrzahl der Anwender im Bereich Endanwender bis kleine und mittlere Unternehmen zwar nicht für Besorgnis im kritischen Bereich sorgen, jedoch sorgt es dafür, daß OS/2 und eComStation von der Liste der für die sichere Übertragung von Daten geeigneten Plattformen verschwindet.

Das zweite Gegenmittel für den Mangel an nativer Software heißt Virtualisierung. Virtual PC für OS/2 wurde vom Markt zurückgezogen, nachdem Microsoft Virtual PC von Connectix aufgekauft hatte. Serenity Systems' Lösung SVISTA ist aufgrund ähnlicher Umstände nie über einen frühen Entwicklungsstatus hinausgekommen. Innotek hat Virtual Box herausgebracht, das OS/2 als Gast unterstützt, aber nicht als Host.

Die Druckerunterstützung leidet am Mangel von Treibern für aktuelle Hardware und fehlender Netzwerkunterstützung. Tintenstrahldrucker lassen sich nur nutzen, sofern sie mit vorherigen, unterstützten Modellen kompatibel sind und sind daher auch auf deren Fähigkeiten eingeschränkt. Hinzu kommt die aufwendige Suche nach dem besten Treiber. PostScript-Drucker funktionieren gewöhnlich recht gut, aber selbst hier müssen zur Erreichung der vollen Unterstützung PPD-Dateien importiert werden - ein Vorgang, der oftmals das Patchen der Dateien verlangt und andernfalls fehlschlägt. Ein weiterer Problembereich ist die Unterstützung aktueller Protokolle. IPP gewinnt in diesem Bereich zunehmend an Bedeutung, jedoch gibt es unter OS/2 keine Möglichkeit, Netzwerkdrucker über dieses Protokoll anzusprechen.

Der Wegfall von SNAP im letzten Jahr hat eComStation ohne Unterstützung für aktuelle und zukünftige Grafikkarten zurückgelassen. Kürzlich wurde zur Behebung des Problems ein generischer Treiber namens Panorama VESA angekündigt. Er besitzt jedoch bauartbedingte Einschränkungen und ist daher nicht gleichwertig mit SNAP. Mehr dazu im diesbezüglichen Kommentar Zukunftsantreiber?

Der Bereich Vernetzung ist immer eine der Stärken von OS/2 gewesen. Heute sieht man sich jedoch mit Inkompatibilitäten mit aktuellen SMB-Implementierungen, fehlender Unterstützung für Dateien mit einer Größe von über 2 GB sowie flickenhafter Hardware-Unterstützung konfrontiert. GenMAC hat sich hier als eine Art Rettung erwiesen. Allerdings scheint bei Onboard-NICs eine Umstellung auf ein anderes Treibermodell stattzufinden, welches erheblich schwerer mit GenMAC zu nutzen ist als das Standardmodell. Der Problembereich SMB wird durch Portierung von Samba angegangen, jedoch kann bisher weder der Client noch der Server als fertiggestellt bezeichnet werden, von benutzerfreundlicher Bedienung einmal ganz abgesehen.

Schließlich ist auch der Bereich Sound-Treiber zu nennen. Die Entwicklung des Uniaud-Treibers ist nur langsam vorangekommen und der entsprechende Vertrag wurde Anfang diesen Jahres nicht verlängert. Insgesamt macht Uniaud den Eindruck einer großen Baustelle. Einige Entwickler haben mit den notwendigen Aufräumarbeiten begonnen, haben jedoch noch einiges vor sich.

Eine lange und unvollständige Liste ungelöster Probleme. Nun, OS/2-Anwender sind an düstere Lagen gewohnt. Oben wurden zwei Umstände für die Entwicklung der letzten Zeit angesprochen. Der zweite ist schon allein problematisch, in Kombination jedoch gefährlich: Fehlende Kommunikation. Leider hat es seit dem Auftauchen der Probleme nur wenig bis keinerlei offizielle Aussagen von Serenity Systems gegeben. Vielleicht hier und da einen kleinen, inoffiziellen Hinweis. Die Community konnte nur spekulieren und von Gerüchten leben.

Java? Nichts. Eine Virtualisierungslösung? Null. Druckerunterstützung? Das Projekt eCUPS, eine Portierung von CUPS und deren Integration in die WPS wurden bei Warpstock Europe 2006 vorgestellt, aber abgesehen von sehr frühen Testversionen mancher Komponenten hat man seitdem nichts mehr davon gehört, und die TRAC-Seite für eCUPS bei Netlabs weist auf keine Aktivität hin. Eine Absprache bezüglich der Entwicklung eines neuen Grafiktreibers wurde angekündigt - von eCo Software, nicht von Serenity Systems, wie man eigentlich hätte erwarten können. Und die weiterhin offenen Fragen sorgen weiter für Beunruhigung in der Community. Samba war bei früheren Warpstock-Veranstaltungen als Ersatz für die Netzwerkkomponenten für OS/2 eingeführt worden. Bis heute gibt es jedoch nur ein teilweise dokumentiertes Plug-In für NetDrive, welches mit eComStation 2.0 ausgeliefert werden soll, sowie Testversionen des Samba-Servers ohne vernünftige Dokumentation und GUI.

Kein vernünftiger Mensch erwartet, daß Wunder vollbracht werden, aber Information ist von Nöten. Mögliche Lösungen müssen selbstverständlich erst einmal gefunden und evaluiert werden; ebenso nimmt die Entwicklung Zeit in Anspruch. Aber die ständige Politik des Nichtpreisgebens und spärlichen Informationsflusses erweist sich als höchst kontraproduktiv und vergrault Anwender. Es ehrt Serenity Systems, nicht zu viel zu versprechen, aber mittlerweile wird uns durch Schweigen die Luft abgeschnürt. Die Community fühlt sich wie der sprichwörtliche Hund, dem ab und an ein Knochen vorgeworfen wird. OS/2-Anwender sind an Einschränkungen und Tolkien'schen Kampf gegen den Niedergang gewohnt, aber auch für sie gibt es Grenzen. Ganz zu schweigen von Anwendern anderer Systeme. Hersteller und Wiederverkäufer müssen in der Lage sein, sie davon zu überzeugen, daß eComStation eine vernünftige Wahl ist, und die Bedenken zerstreuen können.

Serenity Systems muß seine Stummheit und Isolation aufgeben, seine Kunden wenigstens über Zukunftsperspektiven informieren und klarstellen, daß man die Probleme angeht. Wie es momentan aussieht, würde ein Statusbericht mit der Aussage, daß sich eine mögliche Lösung als nicht praktikabel herausgestellt hat, man aber Alternativen untersucht, enthusiastisch begrüßt. Ich kann nur hoffen, daß ich den alten Marillion-Song "Incommunicado" aus meinem Kopf bekomme.

Korrektur: Bärbel Hennecke